
Silvia Böhler
„So sind wir nicht.“ Oder doch?
Bundespräsident Alexander van der Bellen ist bekannt für seine Reden und besonders im Gedächtnis ist mir jene zum Ibiza-Video mit den FPÖ-Herren Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus. Damals sagte der Bundespräsident: „Ich bitte Sie, genauer hinzusehen. Ein Politiker ist dazu gewählt, seinem Land zu dienen. Um das gut zu machen, muss er oder sie genau unterscheiden können, was anständig und was unanständig ist, was korrupt und was korrekt ist, was sich gehört und was eben nicht ... So sind wir nicht! So ist Österreich einfach nicht!“
Nach über sechs Jahren und vielen weiteren Vorkommnissen stelle ich mir - wie das vermutlich viele andere Menschen auch tun - die Frage: „Sind wir wirklich nicht so?“ Ein Ereignis, das die Hoffnung an das Gute im Menschen einmal mehr schwinden lässt, sind die aktuell ans Tageslicht getragenen Vorwürfe rund um die Führerscheinprüfungen in Vorarlberg. Fast jeder zweite Fahrschüler fällt hierzulande durch die praktische Prüfung. Grund dafür sind aber vermutlich nicht die Schüler oder deren mangelnde Fahrkenntnisse, sondern wie seit mehreren Tagen in den Medien berichtet, die Prüfer. Sie würden die Durchfallquote absichtlich hochhalten und sich damit einen lukrativen Nebenverdienst schaffen. Mit jedem durchgefallenen Schüler und dessen erneutem Antreten steigt das Honorar. Laut VN-Recherchen bis zu 47.000 Euro pro Jahr. Eine schamlose Bereicherung, die ihresgleichen sucht.
Besonders bizarr: Als Prüfer fungieren unter anderem Richter, Staatsanwälte und eine große Zahl an Polizisten in leitenden Positionen. Alles honorige Leute, die mit einem guten monatlichen Gehalt ausgestattet sind - und alles Leute, die mit Recht und Gerechtigkeit zu tun haben. Gerade sie sollten doch die Ideale von Ehrlichkeit, Fairness, Unabhängigkeit, Kompetenz und Sorgfalt hochhalten. Stattdessen haben hier wohl einige auf Kosten von jungen Menschen Profit geschlagen und sich eine goldene Nase verdient.
Warum Fahrschulen und Politik nicht längst darauf reagiert haben, wirft weitere Fragen auf. Zwar wurde vor gut einem Jahr eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, eine ordentliche Aufarbeitung, Verbesserungen oder mehr Transparenz lassen allerdings auf sich warten. Stattdessen gehen Freunderlwirtschaft und Bereicherung munter weiter. Und damit erinnere ich nochmals an die Worte des Bundespräsidenten: „So sind wir nicht!“
Oder doch?