
Silvia Böhler
Ende der Geduldsprobe
In seiner Neujahresansprache forderte Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dass ein gemeinsames Bild Österreichs notwendig sei. Er glaube an ein Land, das es versteht, „Konflikte nicht in Unversöhnlichkeit enden zu lassen, sondern Gegensätze zu verheiraten“. Unter anderem verglich er die Regierungsverhandlungen mit dem Interessenausgleich in Familien und das Finden gemeinsamer Lösungen könne „auch eine Geduldsprobe für uns alle“ sein.
Wie recht er doch hatte. Seit fast fünf Monaten sind wir nun als Zuschauer dabei, wie Parteien versuchen eine Regierung zu bilden. Zeitweise glich es einem Chaos, Hickhack und Kasperltheater. Nun könnte es in einem zweiten Anlauf doch noch mit einer Dreier-Koalition klappen. ÖVP, SPÖ und NEOS wollen die Zusammenarbeit wagen und Österreichs neue Regierung bilden. Dabei war der Start alles andere als harmonisch. Kein „weiter wie bisher“ lautete das Motto im Wahlkampf und in den ersten Verhandlungsrunden. Neue Wege für die drängenden Probleme sollten gefunden werden. Doch Einigung war keine in Sicht, die Verhandlungen scheiterten, Schuld hatten - wie so oft - die anderen.
Ähnliches hörten wir auch einige Wochen später, als FPÖ und ÖVP ihr Glück versuchten. Auch hier ging es vor allem um Macht- und Gesichtsverlust und nicht zuletzt um Posten. Ungeduldig zeigte sich auch Landeshauptmann Markus Wallner, der meinte, es sei nicht notwendig bis ins kleinste Detail zu verhandeln, man solle sich aufs Wesentliche konzentrieren. Welche radikalen Positionen Herbert Kickl allerdings vertritt, haben wir erfahren. Wir können froh sein, dass auf die Zurufe in Wien nicht reagiert wurde.
Allein zu regieren ist nicht nur Kickls, sondern wohl der Traum jeder Partei. Doch der Wählerwille sieht anders aus und die vergangenen Wahlen zeigen uns, dass die überwiegende Mehrheit keine radikalen Positionen - und schon gar keine radikale Regierung wünscht. Kompromisse zu finden ist in Familien, Vereinen oder im Beruf tagtäglich notwendig - man trifft sich sprichwörtlich in der Mitte. Das sollte doch auch in der Politik möglich sein.
Ich wünsche mir, dass die drei Parteien, die nun auf der Zielgeraden zur Regierungsbildung sind, die richtige Balance für ihre unterschiedlichen Ansichten gefunden haben und die eigenen Macht-Fantasien hinten anstellen. Kein „weiter wie bisher“ bedeutet nämlich auch, sich nicht mit aller Gewalt an Ämter zu klammern, sondern das gemeinsame Ganze in den Vordergrund zu stellen, so wie es Bundespräsident Van der Bellen gefordert hat. Ich wünsche mir, dass das Warten ein Ende und Österreich endlich eine neue Regierung hat. Denn zu tun gibt es jede Menge und meine Geduld ist am Ende.