„Am Anfang sind die Figuren“

Sarah Kuratle liest im T-Café des Landestheaters in Bregenz aus „Chimäre“.

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    Sarah Kuratle wurde für ihre Texte vielfach ausgezeichnet.

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Foto: Privat

Mit der Lesung aus dem Roman „Chimäre“ von Autorin Sarah Kuratle startet das Franz-Michael-Felder-Archiv der Vorarlberger Landesbibliothek am Mittwoch, 10. September, 19.30 Uhr ins neue Herbstprogramm.

Von Marion Hofer

„Chimäre“, erschienen bei Otto Müller, behandelt drängende Themen unserer Zeit und die Verflochtenheit allen Lebens und Sterbens.

Blättle: Die Welt ist aus den Fugen geraten. Die Insel, auf der Gregor lebt, scheint dem Untergang geweiht. Dennoch pflegt er Pflanzen und sucht für das letzte «Café-Marron-Kraut» einen Ort, wo es überleben kann. Die Cafe-Marron-Pflanze gibt es wirklich. Der letzte Baum befand sich vierfach eingezäunt auf der Insel Rodrigues bei Mauritius. Bis es Carlos Magdalena vom Botanischen Garten in London gelang, der männlichen Pflanze weibliche Anlagen anzuzüchten. Wie viel dieser realen Begebenheit steckt in „Chimäre“?
Kuratle: Ich habe das Buch von Carlos Magdalena gelesen. Die Rettung des Baumes ist fast ein Märchen. Sie erfolgte in letzter Sekunde und dank einer zufälligen Entdeckung. Unzählige Arten dagegen verschwinden, ohne dass wir es bemerken, geschweige denn, etwas dagegen unternehmen. Mit jeder einzelnen verlorenen Art wird ein Ökosystem instabiler – und irgendwann kippt das Ganze. Und der Mensch steht nicht darüber, sondern steckt mittendrin. Auch die Inselgemeinschaft in «Chimäre», mit ihrer Pflanzenvielfalt schon fast ein heiliger Ort, kann sich aus der Zerstörung rundherum nicht herausnehmen.

Blättle: Ihr Roman lässt viel Spielraum für Interpretation. Ist Ihnen das wichtig?
Kuratle: Mein Schreiben hat eine gewisse Offenheit. Vielleicht, weil ich den Figuren ihre Brüchigkeit lasse, damit etwas in Bewegung kommt und sie sich entfalten können. So wie im realen Leben. Wir können uns zwischenmenschlich nie ganz begreifen, die Dinge sind immer in der Schwebe und wir bleiben uns ein Stück weit ein Rätsel. Wenn ich von Menschen, dem Leben schreibe, möchte ich dem treu bleiben.

Blättle: Wie gehen Sie mit den verschiedenen Deutungen der Rezensenten und Lesenden um?
Kuratle: Ich besitze keine Deutungshoheit. Die verschiedenen Rezensionen sind dafür ein gutes Beispiel. Viel davon hatte ich auch im Sinn, manches hat mich überrascht. Ich finde es schön, wenn das Lesen kreativ ist und sich, wer liest, mit seinem eigenen Erleben und Blick auf die Welt einbringt.

Blättle: Sie verwenden in Chimäre das Stilmittel der Ellipse, bei dem Wörter in einem Satz ausgelassen werden. Warum diese Reduktion?
Kuratle: Die Auslassung bedeutet da und dort einen Widerstand im Lesefluss, ein Innehalten. Ein Nachdenken und Hineinspüren.

Blättle: Gilt die Langsamkeit auch für das Schreiben?
Kuratle: An „Chimäre“ habe ich Satz für Satz gearbeitet. Um der Geschichte ihre unverwechselbare Form zu geben, brauche ich Zeit. Ich muss gut hinhören. Auch spreche ich beim Schreiben, lese mir meinen Text immer wieder laut vor, überarbeite. Bis ein Textgewebe entsteht, das den Inhalt trägt.

Blättle: Wie lange haben Sie an der Entstehung dieses Romanes gearbeitet?
Kuratle: Die Geschichte hat lange in mir gearbeitet und ich habe lange daran gearbeitet. Manchmal dauert es, bis ich so weit bin, eine bestimmte Geschichte zu erzählen. Am Anfang sind die Figuren als grobe Skizzen da. Um ihnen nahezukommen, muss ich mich Wort für Wort vortasten. Der erste Satz von „Chimäre“ ließ lange auf sich warten: „Ich ging im Fluss meine Hände waschen.“ Doch dann kam gleich ein ganzer Absatz.

Blättle: Ihr Roman wird auch als Climate-Fiction bezeichnet. Wollen Sie auf aktuelle Gefahren aufmerksam machen?
Kuratle: Mein Erzählen geht immer von den Figuren aus. „Chimäre“ ist zuallererst die Geschichte von Alice und Gregor. Der Roman folgt ihrem Ringen mit erlittenem Missbrauch, Identitätsverlust und eben auch Klimawandel, Artenschwund. Die Naturzerstörung zeigt sich als zutiefst menschliches, zutiefst persönliches, ebenso politisches wie privates Problem - und ist nicht bloßer Hintergrund, wohin wir das Thema im Alltag oft schieben.

Blättle: Was bedeutet Literatur für Sie und welche Möglichkeiten eröffnet sie Ihnen?
Kuratle: Literatur ist eine Möglichkeit, das menschliche Empfinden, unsere oder eine andere Welt zu erforschen oder anders zu begreifen. Sie lässt mich die Perspektive wechseln, meine Fantasie spielen. Ich finde dort Ambivalenz und Vielfalt, Sprachbilder und Sprachmusik. Figuren oder Geschichten, die nachhallen.

Blättle: Gibt es schon ein Thema bzw. eine Idee für Buch Nr. 3?
Kuratle: Neue Figuren haben sich bereits bei mir eingestellt. Derzeit bin ich in der Recherche, sammle Eindrücke und mache Notizen.

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